Think 2030: Für echte Nachhaltigkeit brauchen wir einen Baukulturwandel

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Was für Neubauten bereits üblich ist, kommt nun mit voller Wucht auch auf Besitzer von Bestandsimmobilien zu: Alle Objekte müssen auf Energieeffizienz getrimmt werden. Doch gut gemeint ist nicht automatisch auch gut gemacht. Deshalb brauchen wir einen Wandel in der Baukultur: Digitales Qualitätsmanagement mit präzisen Zieldefinitionen und transparenten Prüfprozessen muss zum Standard werden.

Erst Ende Juni hat die Bundesregierung ihre Klimaziele durch ein geändertes Gesetz zum Klimaschutz angepasst. 65 statt bislang 55 Prozent weniger Treibhausgase sollen bis 2030 im Vergleich zu 1990 ausgestoßenwerden, um das gar nicht so ferne Ziel, bis 2045 komplett klimaneutral zu sein, erreichen zu können.[1] Der Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen und die Wahrscheinlichkeit ist momentan groß, dass wir nicht schnell genug sind. Schon das Erreichen des ersten Etappenziels ist sehr ambitioniert; wenn zehn Prozent unserer Gebäude diesem Anspruch in neun Jahren gerecht werden, halte ich das bereits für einen Erfolg.

Zur Erinnerung: Die Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden sind seit Einführung der Wärmeschutzverordnung – später EnEV, heute GEG – massiv verschärft worden. Der Schwerpunkt lag allerdings zum einen auf dem Neubau und zum anderen auf der Planung: Die relevanten Nachweise bezogen sich auf „rechnerische“ Größen, nicht auf die tatsächlichen Verbräuche. Ab sofort ist dies anders: Es muss einen massiven Sanierungs- und Modernisierungsschub geben, denn die messbare Gebäudeperformance im Betrieb gewinnt an Bedeutung: Künftig werden die realen CO2-Emissionen die zentrale Kennzahl sein, die direkt in die Bewertung einer Immobilie einfließt. Der Grundstein dafür wurde bereits gelegt, denn in den vergangenen Jahren wurde intensiv an Lösungen geforscht. Nun muss das technische Wissen auch auf allen Ebenen in der Praxis eingesetzt werden. Das digitale „Technische Monitoring“ wird dabei eine entscheidende Rolle als zentraler Qualitätsmanagementprozess spielen.

Professionalisierung muss deutlich an Tempo zulegen

Um den nötigen Kulturwandel richtig einzuordnen: Alle anderen Industrien – zum Beispiel die Autoindustrie mit ihren Lieferketten und Plattformbaukästen oder die Pharmaindustrie mit ihren ausgefeilten Qualitätsmanagementmethoden – sind in den zurückliegenden Jahrzehnten durch diese Phase gegangen und haben umfassende Qualitätsmanagementprozesse implementiert, um Produktivitätssteigerungen zu ermöglichen und dabei hohe Qualität sicherzustellen. Und dies ist auch für den Bau dringend nötig: Seit Jahren verharrt die Sanierungsquote in Deutschland bei ca. einem Prozent pro Jahr. Nötig, um die Ziele erreichen zu können, wären jedoch drei bis vier Prozent. Die gesamte Branche und ihre Akteure – vom Hausmeister bis zum Projektentwickler – sind somit gefordert, möglichst schnell Maßnahmen zu ergreifen und sich das nötige Wissen anzueignen, damit die notwendige Professionalisierung spürbar Fahrt aufnimmt. Wir haben bis 2045 nur einen Schuss. Nichts wäre schlimmer, als ambitionierte Ziele zwar politisch zu beschließen (und anschließend zu bezahlen!), aber ihrem Anspruch in der Praxis nicht gerechnet zu werden.

Die Forderungen nach Klimaneutralität müssen strukturell und inhaltlich mit den vorhandenen Ressourcen bewältigt werden. Die knappste Ressource ist dabei nicht Beton, Stahl oder Holz, sondern der Mensch. Planungsbüros sind bereits jetzt stark ausgelastet, ebenso Bauleiter und ausführende Firmen, die schon jetzt am Anschlag arbeiten. Es besteht deshalb die Gefahr, dass zunehmender Druck zu verstärkten Qualitätsdefiziten führt. Digitales Qualitätsmanagement ist deshalb vonnöten, um Mängel schnell herausfiltern und rechtzeitig vermeiden zu können.  

Mit Technischem Monitoring zu höherer Effizienz und Qualität

Der Zeit- und Kostendruck steigt, deswegen wird an manchen Ecken zulasten der Energieeffizienz gespart und mitunter auch nicht sorgfältig genug gearbeitet, nur um den Zeitplan einhalten zu können. Um nochmals den Vergleich zur Autoindustrie zu bemühen: Dort wird das Produkt von einem einzigen Hersteller in seinem Werk produziert und sowohl die Qualität der Zulieferprodukte als auch die des Endprodukts werden umfassend überprüft. Das Qualitätsmanagement bezieht also Lieferketten mit ein und gewährleistet, dass Abläufe ineinandergreifen und Ressourcen produktiv gebündelt werden. Am Ende garantiert der Hersteller die Qualität des Gesamtprodukts.

In der Immobilienbranche sind hingegen traditionell verschiedene Akteure am Werk, die nicht das große Ganze im Blick haben. Fachplaner, Bauträger, General- und Subunternehmer – sie alle arbeiten für ein einzelnes Projekt in einer einmaligen Konstellation zusammen. Das digitale Technische Monitoring leistet hierbei einen wertvollen Beitrag, weil es relevante Eigenschaften des „Produkts Gebäude“ unter die Lupe nimmt und permanent mit dem Soll-Zustand abgleicht.

synavision Daten
©Adobe Stock/Christian Stoll

Die Regulierung in Bezug auf immer höhere und damit vermeintlich ambitioniertere Ziele (vom Niedrig- über das Null- zum Plusenergiehaus!) sollte in ihrem Umfang gebremst werden, weil viele Gesetze und Vorgaben zu einer sehr unübersichtlichen Melange führen, die für die Marktteilnehmer schwer zu verstehen, umzusetzen und zu prüfen ist. Gerade die Gebäudehülle ist mit der aktuellen Regulatorik ökologisch und ökonomisch weitgehend ausgereizt. Die Lösung kann hierbei nur lauten: einheitliche und schnell anwendbare Standards, um im Dickicht der Normen und Verordnungen klare Strukturen zu schaffen sowie Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Die Ziele einzelner Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen müssen dabei stets transparent spezifiziert und anschließend immer auf den Prüfstand gestellt werden, um Veränderungen auch sicher und nachhaltig herbeiführen zu können. Das Technische Monitoring ist bereits heutzutage ein Standard für Bauherren, die es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Der Einsatz digitaler Tools wird ihm weiteren Schub verleihen, damit dauerhaft optimale Ergebnisse erzielt werden können.

Vielfalt des Gebäudebestands als Herausforderung

Bei Bestandsimmobilien gilt es jedoch zu differenzieren. Während bei Wohnimmobilien aufgrund ihrer Geometrie und Nutzung in vielerlei Hinsicht Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen und wärmedämmende Fenster für die Erreichung der Klimaneutralität genutzt werden können, gestaltet sich dies bei Gewerbeimmobilien um einiges schwieriger. Bei Bürogebäuden muss die Raumtemperatur über das komplexe Zusammenspiel von Fassade, Heizung, Kühlung und Lüftung in Abhängigkeit von Bedarf und Witterung für eine Vielzahl von Menschen geregelt werden. Auch die Altersstruktur von Bestandsimmobilien und ihre unterschiedliche funktionale Komplexität führen auch zu einer starken Ausdifferenzierung, sodass sich keineswegs alle Gebäude über einen Kamm scheren lassen. Standardisierung erfordert hier viel theoretisches Knowhow und praktische Erfahrung.

Zertifizierungen müssen in einem regelmäßigen Turnus stattfinden

Und tatsächlich setzt sich der Qualitätsgedanke in der Baubranche langsam durch und die Potenziale werden ausgeschöpft. Für alle Gebäude ist aktuell schon ein effektives und wirtschaftliches Qualitätsmanagement umsetzbar. Mit der AMEV-Empfehlung 158 „Technisches Monitoring“ (TMon) liegt sogar ein konkretes und vielfach angewendetes Leistungsbild für das Monitoring von Gebäuden vor – anwendbar von der Kita bis zum Flughafen. Die Anbieter unabhängiger Zertifizierungssysteme wie der DNGB, LEED und oder BREEAM sind mittlerweile etablierte Akteure und die Prüfung der Gebäudeperformance im Betrieb (!) rückt bei Nachhaltigkeitszertifizierungen immer mehr in den Blickpunkt.

synavision Mockup
©synavision

Erfreulich ist, dass es mit COPILOT nun auch ein Zertifikat gibt, das speziell die „echte Performance“ im Betrieb zertifiziert: Erst ein „Performance-TÜV“ mit Prüfungen im regelmäßigen Turnus, durchgeführt von einem unabhängigen Dritten, sichert zu, dass die Vorgaben in der Praxis dauerhaft eingehalten werden. Der Markt bietet diese Services mittlerweile an. Nun ist es an Gebäudeeigentümern und Asset-Managern, die Verantwortung für ihre Gebäude zu übernehmen. Digitales Technisches Monitoring in Verbindung mit einer hohen Zertifizierungsquote kann für den erforderlichen Modernisierungsimpuls mit Erfolgsgarantie sorgen.

Und dabei geht es nicht nur um die Umwelt: Insbesondere das digitale Qualitätsmanagement hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass es eine hochwirtschaftliche Investition mit Amortisationszeiten von unter einem Jahr ist. Eigentümer und Mieter profitieren von dauerhaft geringeren Nebenkosten und besseren Gebäudefunktionen. Klimaschutz rechnet sich also schon heute!

Fußnoten

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672

Über den Autor

Dr. Stefan Plesser ist Mitbegründer und CEO der synavision GmbH mit Sitz in Bielefeld, die von Forschern der TU Braunschweig und RWTH Aachen gegründet wurde.

Stefan Plesser

Über synavision

synavision ist führender Anbieter von Software zur digitalen Qualitätssicherung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Gebäudeautomation von Smart-Buildings im Neubau und Bestand. Das 2010 gegründete Unternehmen hat bisher mehr als 600 Smart-Buildings optimiert.

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