Think 2030: Immobilienwirtschaft als „PropTech pur“

Geschrieben von
Dr. Florian
Stadelbauer
Veröffentlicht am
Sep 3, 2022

 

Im Jahr 2030 liegt der Beginn des digitalen Strukturwandels in der Immobilienwirtschaft bereits Jahrzehnte zurück — denn schon heute, im Jahr 2021, sind die Unterschiede zwischen etablierten Unternehmen und digitalen Newcomern teilweise aufgehoben. Auf der einen Seite haben sich die Etablierten zu digital denkenden und handelnden Unternehmen transformiert und sind mehr und mehr „Quasi-PropTechs“. Werden sie es nicht, dürften sie als Dinosaurier vom Markt verschwunden. Und auf der anderen Seite werden die früheren PropTechs — sofern sie sich durchgesetzt haben — entweder übernommen oder selbst zu reifen Unternehmen, jedoch ohne ihre digitale DNA dabei aufzugeben. Dieser Effekt ist schon heute mit Blick auf das Alter der Unternehmen im S&P 500 zu erkennen. So sind viele der dort noch in den 60er oder 70er Jahren etablierten Unternehmen von jungen, technologie-affinen Unternehmen abgelöst worden. Erkennbar ist dies nicht zuletzt durch die Analyse des Durchschnittsalters der im S&P 500 enthaltenen Unternehmen, das von etwa über 60 Jahren in den 1960er Jahren auf aktuell etwas 18 Jahren deutlich gesunken ist.

Die digitale Transformation. oder was ist zu tun ist:

Die Ansatzpunkte für etablierte Unternehmen, die sich mit der Transformation hin zu technologie-getriebenen bzw. digitalen Unternehmen wandeln wollen, finden sich im Kern auf zwei Ebnen. Zum einem gilt es die Erwartungen des Kunden auch 2030 noch zu entsprechen. Neben der Nachhaltigkeit wird hier vor allem die Nachfrage nach digitalen Lösungen erwartet. Darüber hinaus gilt es sich das Operating bzw. Betriebsmodell und damit und damit die Organisation, den Ablauf und die technische Unterstützung der Wertschöpfungserstellung auf den Prüfstand zu stellen und damit in die digitale Welt zu transformieren.

Der Kunde als Ausgangspunkt

Schon früh hat sich gezeigt: Überall dort, wo der jeweilige Kunde der Ausgangspunkt für den digitalen Wandel war, war dieser Wandel besonders erfolgreich. Welches Problem des Kunden galt es mit einer technischen Neuerung lösen? Und über welche Touchpoints fand der Austausch mit dem Kunden statt? Daraus entstanden und entstehen Produktvisionen, die von Beginn an digital gedacht werden. Sie stehen anstelle der lange dominierenden Produktentwicklung, die von der Produktidee ausging, worauf dann Machbarkeits- und Marktstudien folgten, das Produkt anschließend entwickelt und am Ende oft eher durch große Marketinganstrengungen zum Kunden gebracht wurden als durch den intrinsischen Kundennutzen.

Zur Digitalisierung gehört daher immer auch die Veränderung der Kundenschnittstelle. Ist der Kunde der Ausgangspunkt und können die Produktentwickler weiter im ständigen Austausch mit dem Kunden stehen und diesen bei der Umsetzung der Ideen miteinbeziehen? Verliert man den Kunden schon hierbei im Falle der Unzufriedenheit? Damm wird er zum Treiber der digitalen Transformation. Daraus kann sich das digitale Mindset des gesamten Unternehmens ableiten.

Die Kundenschnittstelle: Plattformen als Vorreiter im Reifeprozess

In einigen Bereichen ist dieser digitale Reifeprozess früher vollzogen als in anderen. Dies gilt auch für die Immobilienbranche: Die großen Maklerplattformen für die Wohnungssuche im Internet waren schnell ein voll integrierter Teil der Branche. Sie haben analoge Geschäftsmodelle, die auf klassischen Zeitungsannoncen basierten, erfolgreich verdrängt. Auch hier gilt: Den Anforderungen eines Kunden wird eine analoge Anzeige von Mietangebote einfach nicht mehr gerecht.

Stark technologie-getriebene „Office-as-a-Service“-Angebote gemäß WeWork und Co. treiben ebenfalls Veränderungen rund um die Erfüllung von Erwartungen der Mieter an Mietfläche und Vermieter. Das gilt in technologischer Hinsicht: Digitale Türschlösser, digitale Raum- und Eventbuchung, Kommunikation der arbeitenden Menschen in einem Gebäude über eine Plattform etc. — darüber redet man schon heute kaum noch, man macht es einfach, auch in vermeintlich konventionellen Immobilien abseits der CoWorking-Landschaft.

Noch mehr als die technologische Ebene betrifft das Lernen von Office-as-a-Service-Anbieter die strategische Ebene: Es geht beim CoWorking um die Nähe zu den Menschen auf der Fläche, um Mehrwerte und vor allem um ein Verständnis für die täglichen Bedürfnisse, nicht nur auf die Bedürfnisse zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift. Nicht zuletzt die Pandemie zeigt wie hoch die Bedeutung von Flexibilität bezüglich der Mietflächen zukünftig sein können.

Das Operating Model: Prozesse durch Künstliche Intelligenz unterstützen

Die bisherigen Beispiele deuten es an: Es geht bei der digitalen Transformation der Branche um das Produkt Immobilie, die „Schnittstelle“ zum Kunden und es geht um die Prozesse bzw. das Operation Model und damit um den Maschinenraum eines Unternehmens dahinter.

Zentrale Frage dabei ist, wie werden sich die Aufgaben der Menschen in den jeweiligen Immobilienunternehmen verändern? Wir gehen davon aus, dass sich hier trotz der weiteren Umwälzungen bis 2030 grundsätzlich weniger tut, als man das vermuten könnte. Der Mensch muss weiterhin über Investition und Desinvestion entscheiden, er muss Strategien zur Umnutzung oder Aufwertung von Immobilien festlegen, er muss die Mieterzielgruppen festlegen, er muss den Cashflow prognostizierten etc.

Während sich inhaltlich also voraussichtlich wenig ändert, wird aber der Weg der Aufgabenerfüllung ein anderer sein: Informationen müssen weniger selbst gesammelt und ausgewertet werden – das machen die jeweiligen Technologien. Der Mensch wird insbesondere von Tätigkeiten entlastet, die nicht wertstiftend sind, und nutzt die gewonnene Zeit und seine Erfahrung, um basierend auf dem datengestützten Input noch bessere Entscheidungen zu fällen. Möglicherweise werden von ihm aber auch bessere Entscheidungen erwartet — und ein besseres Gesamtergebnis. Oder ein vergleichbar gutes, das in kürzerer Zeit erreicht wird.

Wie sieht das allerdings konkret aus? Ein Blick in den Maschinenraum und damit auf einen Teil des Operating Models der Commerz Real kann das verdeutlichen; Gegenwärtig ist beispielsweise vermehrt am Transaktionsprozess in unserem Fokus. Dieser war lange fragmentiert und verlief größtenteils manuell inklusive Erstbeurteilung, Prüfung von Doppelangeboten respektive Vorkenntnischeck, Produktallokation und am Ende das Reporting nach innen und außen.

Bei der Commerz Real gehen Jahr für Jahr rund 3.000 Exposees aus unterschiedlichen Ländern ein, die seit 2021 automatisch erfasst, eingeordnet und anhand von Standort- und Marktdaten vorbewertet werden. Die Bearbeitungsgeschwindigkeit in den frühen Phasen der Transaktion ist dadurch erheblich höher. Außerdem wird Doppelbearbeitung vermieden und die Transparenz über die Transaktionspipeline verbessert, ebenso wie die rechtliche und regulatorische Sicherheit. Dabei haben künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einen großen Anteil. Natürlich sind wir hier nicht die einzigen. Auch in anderen Traditionsunternehmen wird an entsprechenden Lösungen gearbeitet, außerdem gibt es ähnliche Lösungen auch als Angebote von Start-ups. Auch im Investment- und Asset Management gilt als Fazit im Jahr 2030: Wir sind alle zu PropTechs geworden. Die Branche ist PropTech pur.

Neue Teamstrukturen durch hohe Geschwindigkeit

Stichwort Geschwindigkeit: Technologisch-gesellschaftliche Umbrüche scheinen sich in der Langzeitbetrachtung immer rascher zu implementieren. Könnte man einen Menschen aus dem Jahr 1830 eine Zeitreise in das Jahr 1930 machen lassen, so wäre dieser mit dem technischen Fortschritt deutlich weniger überfordert als ein Mensch, der aus dem Jahr 1930 übergangslos in das Jahr 2030 versetzt würde.

Fest steht: Damit Unternehmen heute die Dynamik der digitalen Transformation mitgehen können, müssen sie sich neu organisieren. Silos und hierarchische Strukturen verhindern ein hohes Tempo. An ihre Stelle wird zunehmend eine Community bzw. das Netzwerk treten: Kleine und agile Teams, die fachübergreifend zusammengestellt sind. Sie agieren weitgehend autonom und flexibel und bestehen aus Produkt-, Marketing-, Projekt- und IT-Spezialisten, Data-Scientists und -Analysten etc. Sie gruppieren sich wiederum in größere Einheiten, während die Spezialisten der einzelnen Teams auch mit ihren Kompetenzpartnern aus den anderen Teams in Kontakt stehen.

Veränderte Kompetenzen auf der Führungsebene

Denn wenn Entscheidungen über Produkte an der Kundenschnittstelle getroffen werden, verschieben sich auch die Kompetenzen innerhalb des Unternehmens. Die Entwicklungskompetenz liegt beim Kundenkontakt, und je stärker die Kundenbindung ist, desto größer ist die Verantwortung. Das verändert die Aufgaben einer Führungskraft: Sie muss einerseits an der Kundenschnittstelle die Produktvision entwickeln, gleichzeitig aber dafür Sorge tragen, dass die Produktidee dann auch zügig realisiert werden kann, und die Verantwortung für die Umsetzung in den Unternehmensbereichen delegieren.

Ausprobieren, Neugierde und eine auf Lernen ausgerichtete Fehlerkultur: fail fast

Dieser Umbau verändert die Rolle der Führungskraft: Aus einer Leitungsposition mit Weisungscharakter und Kontrollfunktion wird mehr und mehr eine Art Coach, der die jeweilige Vision prägt. Ein Coach, der den Rahmen für Kreativität und Innovationen schafft und für die erforderliche Guidance sorgt. Das Verhältnis zu seinen Teams muss dabei von Vertrauen geprägt sein. Es muss die Möglichkeit des offenen Aussprechens auf sachlicher Ebene gegeben sein. Bei diesem Umbruch wie auch dem gesamten Transformationsprozess galt und gilt es für viele Unternehmen ausdrücklich auch, eine neue Fehlerkultur zu implementieren: Im Mittelpunkt steht weniger die Vermeidung von Fehlern, sondern eher die Frage, wie mit diesen umgegangen und aus ihnen gelernt wird. Im Vorteil sind dabei Unternehmen, die dem Motto folgen: „fail fast“. Denn ein fundamentaler Wandel ist selten gelungen, ohne dass viel ausprobiert wurde.

Über den Autor:

Florian Stadlbauer ist Head of Digitalization bei der Commerz Real und hat dort ein eigenes „Digital-Werk“ aufgebaut. Der promovierte Betriebswirt möchte mit der Commerz Real der erste digitale Asset Manager auf dem deutschen Immobilienmarkt werden.

Über Commerz Real:

Die Commerz Real ist der Assetmanager für Sachwertinvestments der Commerzbank Gruppe und steht für fast 50 Jahre Markterfahrung sowie ein verwaltetes Volumen von rund 35 Milliarden Euro. Umfassendes Know-how im Assetmanagement und eine breite Strukturierungsexpertise verknüpft sie zu ihrer charakteristischen Leistungspalette aus sachwertorientierten Fondsprodukten und individuellen Finanzierungslösungen. Zum Fondsspektrum gehören der offene Immobilienfonds Hausinvest, der erste Privatanleger-Impactfonds mit Sachwertfokus Klimavest, institutionelle Anlageprodukte sowie unternehmerische Beteiligungen der Marke CFB Invest mit Sachwertinvestitionen in den Schwerpunktsegmenten regenerative Energien und Immobilien.

Über die REAL PropTech

Wie werden innovative Technologien die Bau- und Immobilienwirtschaft verändern? Welche grundlegenden Umwälzungen bringen neue ESG-Regulatorik und frisches Wagniskapital mit sich? Und welche Geschäftsmodelle sind wirklich zukunftsfähig?

Auf der REAL PropTech 2021, der Zukunftskonferenz unserer Branche, denken wir gemeinsam mit Euch die Bau- und Immobilienwirtschaft neu und lassen die relevanten Akteure und Entscheider zu Wort kommen. Die kleinen und die ganz großen, Neue und Bekannte – Menschen, die sich kluge Gedanken über unsere Branche 2030 machen und sie aktiv mitgestalten.

Think 2030 ist damit nicht nur das Motto der REAL PropTech in diesem Jahr, sondern vor allem eine Einladung an Euch alle, mitzumachen und dabei zu sein!

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Über blackprint

Mit Leidenschaft streben wir nach einer digitalen, nachhaltigen, nutzerorientierten und zukunftsfähigen Bau- & Immobilienbranche. Wir vernetzen und befähigen die Macher von heute & morgen, bieten Sichtbarkeit für Lösungen und Anbieter, vermitteln Wissen, bringen Angebot und Nachfrage zusammen, beraten und setzen aktiv Impulse zur Zukunftsfähigkeit von Unternehmen in der Bau- und Immobilienwirtschaft.

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Eure Ansprechpartnerin:
Sarah Maria Schlesinger
Managing Director
sas@blackprintbooster.vc

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